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Veröffentlicht
am 02.05.2024
LebenStraßenzeitung zebra.

Geht’s auch anders?

Veröffentlicht
am 02.05.2024
Die einen sagen: Landwirtschaft muss sich ändern. Die anderen protestieren gegen den aufgezwungenen Wandel. Doch warum wirtschaften Südtirols Bäuer:innen heute so, wie sie es tun, und was wäre nötig, um einen wirklichen Wandel einzuleiten?
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Der Koflhof verbindet das alte Bauernhaus mit den neuen Ferienwohnungen.

„Gibt es keine Bauern mehr, bleiben eure Teller leer.“ Und: „Ist der Bauer ruiniert, wird das Essen importiert“. Mit Parolen wie diesen strömten Anfang des Jahres tausende Bauern und einige Bäuerinnen in Deutschland auf die Straße, bogen auf die Autobahn ein und fuhren Richtung Berlin. Auslöser: die geplante Kürzung der Agrardiesel-Subventionen. Diese sollte zusammen mit anderen Maßnahmen die grüne Wende in der Landwirtschaft vorantreiben. Eine grüne Wende, die von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit gefordert und schrittweise in nationale und europäische Gesetze und Richtlinien umgesetzt wird.

So sollen landwirtschaftliche Betriebe Diesel einsparen, Pestizide reduzieren und reguläre Produktionsflächen durch Bio- und Ausgleichsflächen ersetzen. Die geplanten Maßnahmen treiben Anfang 2024 Bäuerinnen und Bauern in ganz Europa auf die Straße und treffen – begleitet vom Druck der Medien, der Zivilgesellschaft und der Politik – auch die bäuerlichen Betriebe in Südtirol. Dabei ist die Situation eines bäuerlichen Betriebes in Südtirol, der auf zehn Hektar in Hanglage Milch oder Wein produziert, eine andere als die eines Großbauern in Deutschland mit mehreren hundert Hektar Getreide in der Ebene – sowohl was die Förderungen als auch die marktwirtschaftliche Situation betrifft.

„Nur, weil mein Großvater Bauer war und ich seine Flache erbe,

In Südtirol haben sich nur wenige Landwirt:innen an den Protesten beteiligt: weil sie nur einen Bruchteil der EUAgrarsubventionen erhalten; weil es in Südtirol eigene Agrarfördermaßnahmen gibt; weil die Landwirt:innen mit dem Export von Wein (sehr), Äpfeln (noch) und Milch (weniger) gut leben; und, weil die meisten Bäuer:innen ohnehin im Zu- und Nebenerwerb tätig sind. Dadurch sind sie dem Druck des Weltagrarmarktes weniger ausgesetzt. Aber das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Landwirtschaft ist ausgeprägt. Und, manche Dinge treffen auch wirklich alle: „Vor allem im Umweltbereich ist die Landwirtschaft einem gemeinsamen Regelwerk unterworfen“, sagt Christian Fischer, Professor für Agrar- und Ernährungswirtschaft an der Universität Bozen, „wenn hier das Korsett enger geschnürt wird und immer mehr Umweltleistungen und damit verbundene bürokratische Aufgaben gefordert werden, solidarisiert man sich.“

Historische Wurzeln in der EU
Die Landwirtschaft in Südtirol ist relativ kleinstrukturiert, das heißt, rund 30 Prozent der Betriebe bewirtschaften nicht mehr als zwei Hektar und rund 80 Prozent nicht mehr als zehn Hektar Nutzfläche. Von den knapp 60 Milliarden Euro, die die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) jährlich für die Landwirtschaft vorsieht, profitieren die Südtiroler Betriebe daher nur bedingt. „Wer mehr Produktionsfläche hat, bekommt auch mehr“, sagt Fischer knapp – auch wenn in den letzten Jahren versucht wurde, die Flächenbindung des europäischen Fördersystems aufzuweichen. Eine strukturelle Veränderung der Gemeinsamen Agrarpolitik ist nicht so einfach. Das liegt zum einen an der starken Vertretung der Agrarindustrie und der landwirtschaftlichen Großbetriebe in Brüssel. Zum anderen aber auch an den tiefen Wurzeln der GAP: „Als die GAP 1962 eingeführt wurde, war das oberste Ziel, die Produktion zu steigern“, sagt Fischer. Die Hungerjahre der Kriegs- und Nachkriegszeit hätten dazu gedrängt, den Nahrungsmangel zu verringern und die Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung zu verbessern. Man setzte also in erster Linie auf eine Steigerung der Produktion und darauf, die Preise für die Landwirt:innen durch Marktregulierung, Preis- und Einkommensstützung zu stabilisieren.

Junglandwirt:innen suchen nach neuen und alten Nischenprodukten.

Zusammen mit der fortschreitenden Technisierung der Landwirtschaft, dem Aufkommen der Agrochemie und dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur für den In- und Export führte diese Politik zu enormen Produktionsmengen und, wo möglich, zu entsprechend großen Betrieben. „Die Agrarpolitik war insofern erfolgreich, als die Bauern in Europa ohne Ende produzierten“, sagt Fischer. „Gleichzeitig entstanden aber auch die berühmten Weinseen und Butterberge: Es kam zu Überproduktion, teurer Lagerhaltung und Dumping auf dem Weltmarkt.“ Das System musste reformiert werden. Reine Produktionsförderungen wurden ab den 1990er-Jahren schrittweise abgebaut und an Qualitätsinstrumente wie Ursprungsbezeichnungen, Produktions- oder Umweltstandards geknüpft.

So kam man einerseits den kritischer werdenden Verbraucher:innen entgegen, andererseits wurde die Massenproduktion von Dumping-Produkten eingedämmt. Ab dem Jahr 2000 wurde die ländliche Entwicklung zum Thema. „Das heißt, die landwirtschaftlichen Betriebe wurden nicht mehr beim Verkauf ihrer Produkte unterstützt, sondern erhielten flächenbezogene, aber von der Produktion entkoppelte Direktzahlungen. Gerechtfertigt werden diese Direktzahlungen durch bestimmte Umweltleistungen, die die Landwirt:innen erbringen müssen: „Also nur, weil mein Großvater Bauer war und ich seine Fläche erbe, bekomme ich noch keine Förderungen. Ich muss auf meiner Fläche bestimmte Produktionsmethoden anwenden, die Biodiversität fördern oder Wasserschutz betreiben“.

Zwischen Umweltleistungen …
Wenn die von der EU geforderten Umweltleistungen höher werden, steigt auch der Aufwand für die Landwirt:innen – und mit ihm die Bürokratie. „Deshalb protestieren die Bauern“, sagt Fischer. Auch in Südtirol. Denn bei Leistungen wie artgerechter Tierhaltung oder biologischem Anbau hat Südtirol im europäischen Vergleich Nachholbedarf. Gleichzeitig sind die geplanten Änderungen in der Förderpolitik für die Südtiroler Betriebe weniger einschneidend als anderswo: „Viele Betriebe haben schon jetzt kaum Zugang zu den klassischen EUFörderungen. Geforderte Leistungen wie artenreiche Wiesen oder die Haltung seltener Rassen sind in Südtirol hingegen eher Tradition“. Zudem kommt, dass Landwirt:innen in Südtirol zusätzlich Zugang zu relativ großzügigen Investitionsförderungen haben. „Dadurch soll vor allem verhindert werden, dass Höfe aufgelassen werden“, sagt Fischer. „Nicht zuletzt, um das traditionelle Landschaftsbild und den damit verbundenen Tourismus zu erhalten“. Zwischen EU- und Landesförderungen bezieht die Landwirtschaft in Südtirol laut Hanspeter Staffler, Geschäftsführer des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz und ehemaliger grüner Landtagsabgeordneter, insgesamt rund 250 Millionen Euro pro Jahr an öffentlichen Geldern: „Das bedeutet, dass ein Drittel des landwirtschaftlichen Gesamteinkommens von der öffentlichen Hand bezahlt wird“, sagt Staffler, „wobei es hier sehr unterschiedliche Einzelsituationen gibt“.

Normaler Wahnsinn auf dem Koflhof.

Auf die Fördergelder angesprochen, winken drei der vier für den Artikel interviewten Landwirte ab: Ihre Höfe liegen zu weit unten oder das Gelände ist zu wenig steil, um viele standortgebundene Fördergelder zu beziehen. „Die Förderungen, die ich beziehe, sind ein Anreiz, einen Holzzaun zu bauen oder ein altes Schindeldach zu erneuern, aber sie halten mich nicht über Wasser und wären auch kein Grund aufzugeben“, sagt Andreas Kalser, der in Aldein den Koflhof bewirtschaftet. Seine Standbeine sind der Obst- und Weinbau, der durch den Klimawandel nun auch in höheren Lagen möglich ist, die Pilzzucht „Kirnig“ und Urlaub am Bauernhof. Für ihn sind die Bedingungen in der Landwirtschaft im Moment sehr gut: „So einen Wohlstand wie heute haben wir hier noch nie gehabt“, sagt Kalser. … Weltmarkt … Dabei werden die Gewinnspannen für Lebensmittelproduzent:innen weltweit immer kleiner. „Vor 25 Jahren genügten zwei Hektar Obst, um eine bäuerliche Familie zu ernähren, heute spricht man von vier Hektar und morgen werden es sechs Hektar sein“, erklärt Hanspeter Staffler. Er sieht das Problem im globalen Lebensmittelmarkt: „Wenn wir uns auf das Spiel mit dem globalen Teufel einlassen, dann sind das die Regeln.“

Ein Spiel, das vor allem die Obst-, Wein- und Milchgenossenschaften* spielen. Die Genossenschaften, die in Südtirol den weitaus größten Teil der Lebensmittelverarbeitung und -vermarktung übernehmen, sichern in der heutigen Wirtschaftsstruktur aber auch das Überleben der kleinbäuerlichen Betriebe. „Die Betriebe liefern Milch, Äpfel und Trauben an die Genossenschaften, die diese gemeinsam lagern, verarbeiten und vermarkten. So haben auch kleine Betriebe die Chance, ihre Produkte erfolgreich auf dem Weltmarkt zu vermarkten“, sagt Fischer. Im Alleingang wäre die Konkurrenz und der Preisdruck auf dem Weltmarkt, auf dem Südtirol heute den allergrößten Teil der regional erzeugten Produkte absetzt, zu groß. Während sich also einerseits Genossenschaften wie „Mila“ oder „VOG“ auf die gemeinschaftliche Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte konzentrieren, haben die Landwirt:innen durch die gesicherte Abnahme, die gemeinschaftliche Betriebsmittelbeschaffung und die von den Genossenschaften angebotene landwirtschaftliche Beratung eine sichere Abnahmequelle und die Möglichkeit, die Produktion in die von der Genossenschaft vorgegebene Richtung zu professionalisieren.

„Wir arbeiten nach Möglichkeit mit den gleichen Mitteln wie im Biolandbau, können aber in besonders kritischen Phasen auf effektivere Wirkstoffe zurückgreifen.“

Georg Riegler ist Wein- und Obstbauer in St. Peter in Bozen, wo er zusammen mit seinem Bruder und seinen Eltern auf etwas mehr als neun Hektar integrierten Obstund Weinbau betreibt. Integriert bedeutet, dass zwar konventionelle Spritzund Düngemittel zum Einsatz kommen, diese aber durch genaue Vorhersagen über mögliche Infektionswellen und Wetterumschwünge auf ein Minimum reduziert werden: „Wir arbeiten nach Möglichkeit mit den gleichen Mitteln wie im Biolandbau, können aber in besonders kritischen Phasen auf effektivere Wirkstoffe zurückgreifen“, erklärt Riegler. Die von den Genossenschaften geförderte Spezialisierung auf wenige Bereiche ist für ihn der richtige Weg: „Um etwas gut zu machen und am freien Markt bestehen zu können, müssen wir uns spezialisieren und professionalisieren“, erklärt er. „Als Betrieb, aber auch als Region Südtirol: Dadurch, dass wir über die Genossenschaften organisiert sind, ist das für mich dasselbe.“

… und Urlaub auf dem Bauernhof
Trotz der guten Position der Südtiroler Exportprodukte auf dem Weltmarkt ist die gesamte Lebensmittelproduktion in Südtirol seit einigen Jahren rückläufig. Einerseits, weil der Strukturwandel trotz großzügiger Fördermaßnahmen und des Genossenschaftswesens die kleinstrukturierte Landwirtschaft in Südtirol trifft und Landwirt:innen in den zeitintensiven Nebenerwerb oder zur Schließung der Betriebe verleitet*. Andererseits orientieren sich viele Landwirt:innen in Richtung Zuerwerb: Wie Fischer erklärt, machen landwirtschaftliche Betriebe heute Kurse für Touristen, produzieren Energie, bieten Urlaub am Bauernhof an oder bewirtschaften einen Buschenschank. „Diese Dinge dienen dazu, die Betriebe im ländlichen Raum zu halten. Aber sie binden Kapazitäten für die Lebensmittelproduktion“, sagt Fischer. Eine Realität, die auch Andreas Kalser bestätigt: „Durch die vielen unterschiedlichen Standbeine mache ich heute vieles gleichzeitig“, sagt Kalser. Und die Bürokratie häuft sich: „Gästeanfragen, Lieferscheine, Löhne, Astat-Meldungen, Rechnungen, Zahlungen, Bestellungen … das alles kostet Zeit“.

(Kein) Platz für lokale Lebensmittelproduktion
Neben Agrotourismus, Äpfeln, Wein und Milch für den Weltmarkt erzielen die Bauern noch ein winziges Einkommen über die Nischenproduktion von Kartoffeln, Karfiol, Radicchio, Marillen, Kirschen, Beeren, Getreide oder Kräutern. Das heißt im Umkehrschluss: Eine vielfältige regionale Lebensmittelproduktion ist innerhalb der bestehenden landwirtschaftlichen Strukturen nicht möglich. Dabei wären Landschaft und Klima durchaus auch für andere Produkte in größerem Maßstab geeignet. „In Südtirol sind die Bedingungen für Apfel- und Weinanbau perfekt, aber auch für Kastanien, Aprikosen oder Tierhaltung gäbe es gute Voraussetzungen“, erklärt Martina Boschiero, die im Bereich der ökologischen und nachhaltigen Landwirtschaft arbeitet.

Doch abseits der Genossenschaften für Äpfel, Wein und Milch können die kleinstrukturierten landwirtschaftlichen Betriebe auf dem Weltmarkt kaum konkurrieren. Auskömmliche Erträge lassen sich nur mit hochwertigen oder veredelten Produkten erzielen, die auf kleinen Flächen erzeugt und ab Hof oder auf Bio- und Bauernmärkten verkauft werden. Einer, der diesen Weg geht, ist Fabian Plattner vom Haflingerhof. Vor rund einem Jahr haben die Plattners einen Hektar Wiese in Getreidefläche umgewandelt: „Hier hat schon mein Großvater Getreide angebaut“, erzählt er. „Damit sich der Getreideanbau heute trotz billiger Getreideimporte wieder lohnt, wird das Getreide zu Schüttelbrot verarbeitet.“ Dieses wird dann ab Hof an Familien und Gastbetriebe im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern weiterverkauft. Wie Plattner, sind viele Junglandwirt:innen davon überzeugt, dass die Landwirtschaft mit einer gewissen Vielfalt zur regionalen Lebensmittelproduktion beitragen soll und versuchen, neue Nischen aufzumachen. Die so erzeugten Produkte sind aber kaum für die breite Bevölkerung bestimmt. Sie können den Weltmarkteinkauf im Supermarkt nicht ersetzen.

Um auch in Südtirol größere Mengen Getreide oder Gemüse produzieren zu können, bräuchte es laut Fischer vor allem eines: größere Flächen, die professionell bewirtschaftet werden können. Nur dann würden sich das Risiko und die Investitionen in Maschinen und Know-how betriebswirtschaftlich lohnen, um eine regionale Lebensmittelproduktion abseits von Äpfeln, Wein und Milch aufzubauen. Doch dafür gibt es im Moment keinen politischen Willen: „Größere Flächen würden bedeuten, dass Betriebe aufgeben, damit andere Betriebe wachsen können. Eine solche Entwicklung würde auch bedeuten, dass wir uns vom Bauern mit Mistgabel und Schürze verabschieden und teilweise zu einer technologischeren Form der Landwirtschaft übergehen. Diese Entscheidungen hätten natürlich auch Auswirkungen auf das Landschaftsbild, das für den Tourismus so wichtig ist“.

Come coltivare i contadini che vogliamo
Oder man baut um; und zwar das gesamte Konsum- und Produktionssystem. „Wenn wir die Landwirtschaft neu denken wollen, müssen wir uns vom globalen System verabschieden“, sagt Staffler. „Oder zumindest versuchen, eine Lebensmittelversorgung auch auf lokaler Basis aufzubauen“. Dazu schlägt er Bürger:innengenossenschaften vor, also kleinräumige, auf Talschaften reduzierte Erzeuger:innen-Konsument:innenkooperativen. „Produzent:innen müssten so nicht mehr mit dem Weltmarkt konkurrieren, sondern könnten sich auf die direkte Beziehung zu den Konsument:innen stützen und die Preise direkt mit ihnen verhandeln“, ist der Direktor des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz überzeugt. „Die Landwirt:innen hätten eine gesicherte Abnahme zu einem fairen Preis und die lokale Bevölkerung eine regionale Lebensmittelproduktion“.

Erste Ansätze für solche Bürgergenossenschaften gibt es bereits, etwa die v*coop in Brixen oder die Bürgergenossenschaft Obervinschgau. Damit das Ganze für die breite Bevölkerung funktioniert, braucht es aber nicht nur mehr Mitglieder, sondern auch Förderungen: „Man müsste die Agrarförderungen so steuern, dass solche Strukturen aufgebaut werden können“, so Staffler. Denn: „Wenn jährlich 250 Millionen Euro an öffentlichen Förderungen in die Landwirtschaft fließen, dann möchte ich, dass nicht nur die bestehenden Höfe erhalten bleiben, sondern auch eine lokale und differenzierte Lebensmittelproduktion für den lokalen Markt aufgebaut wird“. Zudem, so Staffler, sollten die Steuerzahler:innen über die Produktionsweise im Land mitbestimmen dürfen, um eine gesunde Umwelt zu garantieren.

Gesunde Umwelt
Gerade der letzte Punkt, die Mitverantwortung für eine gesunde Umwelt, wird den Bäuerinnen und Bauern oft zum Verhängnis. Im medialen und gesellschaftlichen Diskurs werden landwirtschaftliche Betriebe schnell zu Umweltsündern gemacht. Nicht ganz zu Unrecht, wie Staffler oder Boschiero meinen. Wenn zum Beispiel das Futter für die Kühe aus Übersee importiert wird, um die Milchmenge zu steigern, wenn Böden versanden oder die Artenvielfalt durch den Einsatz von Pestiziden gefährdet wird, dann ist der daraus resultierende CO²- und ökologische Fußabdruck problematisch. Gleichzeitig ist es aber nicht unbedingt die Landwirtschaft, die diese Umweltprobleme verursacht: „Man könnte anfangen, zwischen Landwirtschaft und Industrie zu unterscheiden“, sagt Johannes Messner, der auf dem Burgerhof bei Brixen Bio-Landwirtschaft betreibt. „Dann wäre nicht die Landwirtschaft in der Kritik, sondern die Industrie.“ Auf der einen Seite steht das, was für den Biobauern und Önologen ein Industriebetrieb ist, wobei er hier vor allem an landwirtschaftliche Großbetriebe in der Ebene denkt. Auf der anderen Seite steht die Landwirtschaft: „Landwirtschaft ist für mich in weiten Teilen eine Kreislaufwirtschaft“, sagt Messner.

„Das heißt unter anderem, dass ich den Boden so hinterlasse, wie ich ihn vorgefunden habe – oder besser.“

„Das heißt unter anderem, dass ich den Boden so hinterlasse, wie ich ihn vorgefunden habe – oder besser.“ Martina Boschiero schätzt, dass sich etwa die Hälfte der Südtiroler Betriebe um gesunde Böden bemüht. „Es sind vor allem die kleinen Dinge, die hier den Unterschied machen“, sagt Boschiero. „Weniger Pflanzen pro Hektar, kleine Blumenwiesen und weniger Schnitte und Herbizide zwischen den Reihen können unglaubliche Dominoeffekte auf die Umwelt haben.“ Für sie muss sich neben der Produktionsweise aber vor allem die Erwartungshaltung der Konsumentinnen und Konsumenten ändern: „Regionale Bioprodukte zu Supermarktpreisen sind vielleicht in 20 oder 30 Jahren möglich, aber nicht heute“, sagt Boschiero. Und um die Produktion auf eine nachhaltige und vielfältige Produktion umzustellen, brauche es vor allem eines: „Sicherheit von Seiten der Konsument:innen“.

Eine Ansicht, der auch die für den Artikel interviewten Landwirte zustimmen: Viele Landwirt:innen wären bereit, die Produktion auf andere Produkte oder Produktionsweisen umzustellen, wenn es dafür eine sichere Nachfrage gäbe. „Ich glaube nicht, dass die Bauern so stur sind, dass sie nicht auch auf Kartoffeln umstellen würden, wenn sie davon leben könnten“, sagt Riegler. Während es bei den Erdäpfeln relativ einfach ist, geht es bei anderen Dingen nicht von heute auf morgen: „Dinge wie Wein sind langfristige Investitionen“, sagt Andreas Kalser, der am Koflhof erst vor kurzem mit dem Weinbau begonnen hat. „Und für jedes neue Produkt oder jede neue Anbaumethode braucht man das entsprechende Know-how, die passenden Maschinen und eine langfristige Perspektive. Das ist so, als würde man einen ganz neuen Beruf erlernen“.

Text: Valentina Gianera

Die im Artikel zitierten Zahlen stammen, soweit nicht anders angegeben, aus dem Buch „Nahrungsversorgungssysteme heute und morgen. Band 1“ von Christian Fischer.
*Stand 2021 erwirtschaftet die Landwirtschaft in Südtirol jährlich rund 400 Millionen Euro Produktionswert aus dem Apfelanbau, etwa 200 Millionen Euro aus der Milch und jeweils 70 Millionen Euro aus Trauben für den Weinbau und Agrotourismus.
*Seit 1998 fiel die Anzahl der landwirtschaftlich aktiven Betriebe um beinahe 10 Prozent auf knapp 16.500 Höfe im Jahr 2021. Gleichzeitig halbierte sich der Anteil der landwirtschaftlichen Arbeitsplätze und beläuft sich im Jahr 2021 auf rund sechs Prozent.

Dieser Text erschien erstmals in der Straßenzeitung zebra. (02.05.2024 – 02.06.2024 | 95)

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